Deshalb wurde Ende der siebziger, Anfang der achtziger Jahre des 19. Jahrhunderts durch die sächsische Regierung der Bau von Schmalspurstrecken besonders in den ländlich geprägten Regionen vorangetrieben. Der Nutzen bestand dabei nicht nur in der Bewältigung des steigenden Güterverkehrs und Personenverkehrs, sondern auch in der gegenüber der normalspurigen Eisenbahn kostengünstigeren Trassierung.
Mügeln als zentraler Bahnhof besaß 36 Gleise, 2 Stellwerke, Güterschuppen, ein Heizhaus mit der Unterstellmöglichkeit bis zu 10 Lokomotiven inklusive deren Wartung. Die Schmalspurbahn gab bis zu 330 Eisenbahnern und ihren Familien Lohn und Brot. Das Schmalspurnetz hatte 5 Anschlussbahnen mit über 100 km Streckenlänge. So erzählte mir vor vielen Jahren eine aus Mahlis weggezogene Familie, dass das gesamte Hab und Gut durchgehend per Schmalspurbahn von Mahlis über Lommatzsch bis ins Osterzgebirge nach Cunnersdorf transportiert worden ist.
Die Spurweite der Kleinbahn betrug 750 Millimeter.
Die Strecken führten von Mügeln nach:
Für diese Schmalspurbahn fand man natürlich auch einen Namen:
Wilder Robert
Diese Bezeichnung war nicht ganz umsonst gewählt. Nachdem man in Neichen in die Normalspubahn umgestiegen war, konnte man dann ab Leipzig in die groβe weite Welt weiterfahren. Die Strecke von Mügeln führte über Nebitzschen – Glossen – Gröppendorf – Mahlis weiter nach Wermsdorf mehr oder weniger eingebettet in ein sanftes Tal. In Wermsdorf befand sich der Bahnhof in Nähe des Horstsees mit einem Betriebsschuppen in dem kleinere Wartungsarbeiten und das Vorheizen der Loks erfolgen konnten. Entlang des Horstseedammes führte die Strecke nach Überquerung der Straβe Richtung Mutzschen hinter dem Horstseebad nach Mutzschen-Roda, weiter bis Neichen.
Vorwiegend wurden mit dem Wilden Robert landwirtschaftliche Güter transportiert, aber auch der Personentransport war über viele Jahre von groβer Bedeutung. Eine wesentliche Rolle spielte die Kleinbahn als Uhr. Jeder Zug, der in Mahlis einfuhr, wurde durch die Pfiffe seiner Dampfpfeife, die in dem ausladenden Tal weit getragen wurden, angekündigt. Man brauchte im Freien wirklich keine Uhr, die Züge kamen pünktlich. Die Bauern auf den Feldern richteten danach ihre Pausen ein, oder merkten, dass die Futterzeit für die Stalltiere heran war. Die Kinder wussten dadurch, dass es Zeit war, vom Spielen nach Hause zu eilen. Zum Bahnhof von Mahlis gehörten mehrere Gleise, aus Richtung Gröppendorf beginnend etwa auf der Wiese gegenüber dem jetzigen Grundstück Becker.
Nach Überquerung der Straβe befand sich (und befindet sich noch heute) gut erhalten das Wartehäuschen, davorstehend damals die rechte Seite offen mit Bänken und dem Fahrplan. Die linke Seite war verschlossen, in dieser befanden sich Transportgüter, die angeliefert oder versendet werden sollten. Parallel zum Hauptgleis verlief ein Überholgleis. Dort musste immer ein Zug warten, wenn der Gegenzug noch nicht in den Mahliser Bahnhof eingefahren war. Weiterhin waren noch Beladegleise und eine Beladerampe vorhanden. Ein Anschlussgleis führte zu dem heute in Privatbesitz befindlichen Kornhaus (BHG bzw. VEAB), an welchem ebenfalls Waggons be- und entladen wurden.
Gegenüber den Bahnhofsgleisen befand sich herrlich durch groβe Kastanien eingerahmt, das Bahnhofsrestaurant mit Personenabfertigung und Kolonialwarenladen. Über viele Jahre war die Familie Lindner Eigentümer und Betreiber. (Zur Familie Lindner in anderen Beiträgen mehr.) Oftmals rief das Zugpersonal des zu erwartenden Zuges vom vorhergehenden Bahnhof bei Lindners an, damit nach Einfahrt des Zuges in Mahlis das Bier durch Herrn Lindner für das durstige Bahnpersonal rechtzeitig bereitstand.
So konnte man an den bewirtschafteten Bahnstationen wie in Mahlis, Fahrkarten für fast alle Orte in Sachsen und darüber hinaus erwerben. Man konnte auch Expressgüter versenden oder empfangen, die einen sehr weiten Weg hatten. Es hat immer einwandfrei funktioniert. Aus Mahlis, Liptitz und Wiederoda und Wadewitz brachten die Bauern ihre landwirtschaftlichen Erzeugnisse auf den Bahnhof und ins Kornhaus in Mahlis. Hier wurden diese verladen.
Gleichzeitig wurden dann andere Dinge für die Landwirtschaft geladen, wie z.Bsp. Dünger oder Kohlen für die Haushalte. im Kornhaus konnten auch Dinge des täglichen Bedarfs, Haushaltartikel und Arbeitskleidung und vieles mehr gekauft werden. Eine groβe Bedeutung erlangte die Kleinbahn während des 2. Weltkrieges und einige Jahre danach.
Da die Kleinbahnstrecken nicht als strategische Ziele für Bombardierungen durch Engländer und Amerikaner angesehen wurden, lief der Betrieb relativ störungsfrei, abgesehen von Kohle- und Materialknappheit. Damit konnte während des Krieges ein wesentlicher Beitrag zum Funktionieren des öffentlichen Lebens geleistet werden. Die gleiche Bedeutung kam der Kleinbahn nach dem Krieg zu. Sie erwies sich auch für viele ausgebombte Groβstädter als zuverlässiges Transportmittel auf ihren Hamsterfahrten. Natürlich beförderte die Kleinbahn viele Menschen zu ihren Arbeitsorten. Es gab regelrechte Arbeiterzüge mit 8 bis 10 Personenwagen. Reine Güterzüge wurden besonders in Erntezeiten zum Abtransport von Zuckerrüben eingesetzt. Am geläufigsten jedoch waren gemischte Züge, die neben den Personenwagen noch einige Güterwagen mitführten, die dann am Zielbahnhof abgekoppelt wurden.
...dies war ein unvergesslicher Anblick. Die Kleinbahn bildete bis etwa 1970 auch den Ausgangspunkt für die Klassenfahrten der Mahliser Schule. Oftmals mussten die Schulkinder sehr zeitig aufstehen, da eine Fahrt bis zum Bahnhof in Oschatz fast zwei Stunden dauerte. Besonders im Winter war das gemütlich. In jedem Personenwagen befanden sich kleine Öfen, die durch das Zugpersonal geheizt wurden. Dann bummelte der Zug durch die Winterlandschaft Richtung Mügeln. Das war eine besondere Atmosphäre, die man erlebt haben muss. In Mügeln war dann ein gröβerer Halt. Dort wurden dann Richtung Oschatz weitere Personenwagen angekuppelt, denn viele Mügelner arbeiteten in Oschatz oder fuhren dann mit der Groβbahn zu ihren Arbeitsorten.
Heute ist man schneller in Leipzig, als damals von Mahlis in Oschatz.
Im Sommer fuhren (zuckelten) auch viele Schulklassen oder in den damals stattfindenden Ferienspielen die beteiligten Kinder mit der Bahn an den Horstsee nach Wermsdorf zum Baden. Es stand nirgends, aber das geflügelte Wort ” Blümchen während der Fahrt pflücken verboten!” kannte jeder. Beliebt war auch das Wechseln von einer Plattform auf die andere, je nach Wagentyp nicht ganz ungefährlich. Da damals der Horstsee ein gut besuchtes Freibad war und auch für das leibliche Wohl gut gesorgt wurde, war der Zuspruch entsprechend groβ. Manchmal ging der Heimweg dann per Pedes an der Bahnstrecke entlang. Beliebt war bei den Kindern auch das Auflegen von kleinen Münzen auf die Schienen. Die Pfennigstücke wurden richtig plattgewalzt und als Andenken mitgenommen. Man sammelte hin und wieder auch die auf den Bahngleis liegenden Kohlestückchen, insbesondere, weil es sich teilweise um Steinkohle handelte.
Wenn im Winter der Mahliser Kirschberg zur groβen Rodelbahn wurde, dann war das Herannahen des Wilden Roberts aus Richtung Gröppendorf oftmals das Signal, oben auf dem Berg loszufahren, natürlich im Bob mit 3-4 Schlitten. Da man auf der langen Abfahrt ordentlich Geschwindigkeit bekam, blieb oftmals nur die Möglichkeit, über die Schienen Richtung LPG zu fahren, da ein Abbremsen oder Ausweichen an der Döllnitzbrücke nicht möglich war.
Mehr als einmal war der Zug nur noch 30 bis 40 m von uns entfernt, wenn wir über das Gleis sausten. Manchem blieb nur die Möglichkeit, in die unten offene Scheune des jetzigen Grundstückes Köhler zu fahren, um nicht in die Döllnitz zu rutschen. In sehr schneereichen Wintern kam es vor, dass die Kleinbahn trotz des Vorspannens einer zweiten Lok in den Schneewehen Richtung Wermsdorf stecken blieb. Dann ging natürlich längere Zeit gar nichts, da man mit dem Freischippen des Gleises nicht nachkam.
Leider begann in den sechziger Jahren die Streckenstilllegung der Kleinbahn. Erst wurde die Strecke von Wermsdorf nach Neichen stillgelegt und Anfang der Siebziger Jahre dann auch die Strecke Mügeln Wermsdorf, mit Ausnahme der Strecke nach Kemmlitz zum Kaolintransport. Ein Stück Heimat wurde so zur Geschichte. Zum Glück besteht zum jetzigen Zeitpunkt noch ein kleiner Rest mit der Kleinbahnstrecke von Oschatz nach Kemmlitz.
Zurzeit läuft die Erweiterung der Strecke vom Abzweig Nebitzschen bis zur Feldbahn nach Glossen. Wünschen wir, dass der Wilde Robert nicht nur in Erinnerungen und auf Bildern weiterlebt, sondern als lebendiges Denkmal eines längeren Geschichtsabschnittes den nachfolgenden Generationen wenigstens teilweise erhalten bleibt.
Die Zukunft wird zeigen, wie wir verstehen, mit Tradition und Geschichte umzugehen.
Natürlich konnte ein so berühmter Bahnhof der internationalen Strecke Mügeln-Mahlis-Mutzschen-Mailand nicht ohne eine entsprechende Abfertigung der Reisenden und des entsprechenden Gepäcks auskommen.
Der jetzige Kindergarten von Mahlis war früher Bahnhofsrestaurant mit Fahrkartenverkauf und Expressgutversand.Weiterhin befand sich darin noch ein Kolonialwarengeschäft. Das Gebäude wurde damals von wunderschönen groβen und alten Kastanien auf jeder Seite eingerahmt. Betrat man das Grundstück von der Straβenseite aus, so befand sich rechter Hand der Kolonialwarenladen, linker Hand der Eingang zum Bahnhofsrestaurant. Der Kolonialwarenladen war wie früher üblich, mit einer Ladentheke versehen, auf der sich Gläser mit Bonbons und anderen Naschereien befanden. Die ganze Einrichtung bestand aus Regalen mit vielen Schiebern, in denen sich von Lebensmitteln über Waschpulver bis zu Holzpantinen alles Mögliche zum Verkauf fand.
In dem Laden herrschte ständig eine gewisse geheimnisvolle Dunkelheit, da durch die groβen Kastanien nur wenig Licht durch die Fenster drang.
Auf der linken Seite des Hauses ging es durch einen Gang zum Bahnhofsrestaurant. Gleich nach dem Öffnen der Tür fiel dem Besucher der groβe Billardtisch zur Linken auf. Dazu gab es auch einen entsprechenden Schrank mit dem Billardzubehör. Billard wurde aber so gut wie nie gespielt, es wurde behauptet, das Zubehör sei nicht mehr in Ordnung, was jedoch nicht stimmte.
Rechts neben der Tür stand ein gröβerer gusseiserner Ofen, der im Winter oft bis zum Glühen des Abzugsrohres geheizt wurde. Dem schloss sich der Stammtisch mit einem mehr als durchgesessenen alten Sofa an. Auf den Stühlen saβ man bequemer als auf diesem Foltersofa. Danach schloss sich die Theke mit dem Durchgang zur Küche an. An der Mittelwand befand sich der Schrank mit den vorbereiteten Fahrkarten für die Kleinbahn, für die Weiterfahrt mit der Groβbahn, Zuschlagkarten für D-Züge und Sonderkarten.
Wenn man einen gewünschten Zielort verlangt hatte, wurden die entsprechenden Karten entnommen und in einer Art Prägevorrichtung mit den entsprechenden Daten versehen.
Daneben befand sich die Tür zum Vereinszimmer, welches aber schon in den sechziger Jahren so gut wie nicht mehr genutzt wurde. Schräg rechts gegenüber vom Eingang befand sich die Tür mit Freitreppe zu den Gleisen. Auch in diesen Räumen herrscht auf Grund der umgebenden Kastanien ständig ein gewisses Schummerlicht. Im Sommer war es im Bahnhofsrestaurant immer angenehm kühl
Besitzer waren seit den zwanziger Jahren die Familie Hanne und Willy Lindner. Willy Lindner war direkt als Bahnagent zur Abwicklung des Fahrkartengeschäftes und der Güterabfertigung
angestellt. Da dies jedoch zum Leben nicht ausreichte, wurde dazu das Bahnhofsrestaurant und der Kolonialwarenladen gemeinsam mit der Ehefrau betrieben.
Zwischen den beiden Weltkriegen war dies eine bekannte Adresse für Veranstaltungen, von Vereinstreffen über Bockbierfeste und vieles mehr. Nach dem 2. Weltkrieg verlor das Restaurant dann an
Bedeutung, es gab schlieβlich in Mahlis 3 weitere Gaststätten! Das Bahngeschäft lief jedoch bis in die sechziger Jahre gut.
Beitrag: Joachim Rudolph
Mahlis in der Steinzeit
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